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Elisabeth Steer, Braunschweig
Weihnachtsfest als Integrationsmaßnahme
Glaubt ihr noch an Wunder? Seit einem Interview hab ich meine Meinung geändert: Ja, es gibt sie noch auf dieser Welt, man muss nur fest an sie glauben.
Nach einer Diskussion über Integration sprach mich eine Frau an und fragte, ob ich über das Thema einen Artikel schreiben wolle. Ich sagte zu, wandte aber ein, dass ich zum Jahresende keine Problemanalyse zu Papier bringen wolle, sondern etwas Romantisches. Daraufhin lud mich die Frau zu sich nach Hause ein und erzählte mir ihre Liebesgeschichte.
1993 kam sie aus Kasachstan nach Deutschland, als Letzte ihrer Familie. Sie hatte es vorgezogen, bei dem Mann zu bleiben, den sie liebte. Die ersten zwei Ehejahre waren das pure Glück gewesen! Kiril gab sich alle Mühe, um ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen und trug sie auf Händen. Die Trennung von ihren Verwandten und Bekannten belastete sie. Sie verlor ihr ungeborenes Kind und konnte danach nicht mehr schwanger werden…
Nach zwei Jahren voller Wenn und Aber reiste Katharina alleine zu einer Hochzeit nach Deutschland, da Kiril beruflich unabkömmlich war. Man hatte für ihn keine Vertretung finden können. Nach ihrer Rückkehr gestand er ihr einen Seitensprung mit ihrer besten Freundin, die, zu Katharinas Entsetzen, ein Kind von Kiril erwartete. Das war das Ende ihrer Ehe. Noch im Sommer desselben Jahres verließ sie ihren Heimatort endgültig, ohne Diskussionen und ohne den Koffer ausgepackt zu haben.
Beide geliebten Menschen auf einen Schlag zu verlieren, war hart. Besonders litt sie unter der Trennung von Kiril, ihrer Ersten und Großen Liebe! Wegen ihm war sie in Kasachstan geblieben, mit ihm hatte sie eine Familie gründen wollen. Nach seinem Geständnis vermied sie jeglichen Kontakt, übernachtete bei einem Lehrerehpaar, das sie unterrichtet hatte.
Als sie Kasachstan verließ, kam er zum Flughafen, ein kleines Päckchen in der Hand, und bat sie, sein Geschenk als Andenken an ihre Liebe und die kurze Ehe anzunehmen.Er umarmte sie, kämpfte mit den Tränen und sagte: ,, Du warst und bleibst der Sonnenschein meines Lebens - wie diese Bernsteine, die ich dir schenke. Ich werde immer nur dich lieben - das weiß auch Elena! Leb wohl, du hast es verdient, glücklich zu sein. Wenn es dir schlecht geht, dann betrachte diese sonnigen Bernsteine und denk an die Ewige Liebe… Die Sonne hat sich im Bernstein verewigt - so wie meine Liebe.“ Er kämpfte mit den Tränen, seine Stimme war plötzlich ganze leise: „Meine Mutter hat dich sehr geliebt. Sie hat damals deine Mutter davon überzeugen können, dir die Wahl deines Partners selbst zu überlassen. Die Zeit mit dir war die beste meines Lebens. Du hast mich geformt, gefordert und motiviert - wie der Lehrer seinen Schüler. Du bist wie ein Stern in der Dunkelheit, wie die Sonne am Tag. Verzeih mir, bitte, meinen Fehler. Ich werde auf deinen Brief warten. Vielleicht kannst du mir irgendwann meinen Verrat verzeihen!“
Es fiel auch Katharina schwer, sich nach fast zehnjähriger Freundschaft und Liebesbeziehung unter diesen Umständen voneinander zu trennen. Enttäuscht von Kirils Untreue, weinte sie viel. Ihre Kollegen, ihr Lehrer und dessen Frau hatten vergeblich versucht, sie über den Verlust hinwegzutrösten. Sie hatten mit ihr gelitten und ihre Betroffenheit war ihnen anzusehen. Aber sie hatten es nicht vermocht, Katharinas Tränen zu trocknen!
In Deutschland angekommen nahm Katharina kaum ihre neue Umgebung wahr. Glücklicherweise konnte sie rasch an einem Sprachkurs teilnehmen und erhielt kurze Zeit später die Möglichkeit, eine Tanzgruppe zu gründen. Diese Beschäftigung lenkte sie von ihrem Liebeskummer ab und holte sie aus einer Depression… Ihre Freizeit verbrachte sie mit Tanz und Theater - sie improvisierte sehr gern. Diese Hobbys waren ihre große Leidenschaft. Sie halfen ihr, die schmerzhafte Trennung schneller und besser zu verarbeiten. Nach zwei Monaten wurde ihr klar, dass sie nie wieder nach Kasachstan zurückkehren würde. Das wäre auch für ihre beiden Freunde und das Kind, das sie erwarteten, die beste Lösung. Katharina hatte ihre Situation endlich akzeptiert!
Auf einem Weihnachtsfest traf sie Niklaus, der sie an Kiril erinnerte. Sie trat dort mit ihrer Tanzgruppe auf, obwohl die Darbietung noch nicht fertig einstudiert war - sie hatten nur wenige Monate geprobt. Aber den Kindern zuliebe hatte sie ihren Segen für den Auftritt gegeben und wohnte der Aufführung bei, um die Truppe zu unterstützen und zu motivieren! Niklaus war rein zufällig anwesend. Er vertrat seinen Chef, der an einem Symposium teilnahm. So begegneten sich zwei Menschen, die der Zufall zusammenführte und mit der Liebe beglückte. Niklaus hatte bereits drei Beziehungen hinter sich. In seinem Beruf war er häufig auf Dienstreisen. Die Frauen hatten dies nicht akzeptieren können und sich alsbald getrennt. Die negativen Erfahrungen hatten ihre Spuren hinterlassen, er glaubte nicht mehr an Treu und ewige Liebe…
Die Aufführung des Krippenspiels und die es begleitenden Tänze, der Tanz der Schneeflöckchen und die Walzer kamen gut an - Katharina strahlte vor Freude! Nach den zahlreichen traurigen Ereignissen konnte sie endlich entspannen. Sie holte sich Kuchen und setzte sich zu den Gästen an den Tisch. Der Vorsitzende stellte sie vor, lobte ihr Engagement und bemerkte, dass sie noch zu haben sei. Sie sah Niklaus sofort dessen Aufregung an - da war gegenseitiges Interesse und spontane Sympathie, Schmetterlinge im Bauch…
Als sich das Fest seinem Ende näherte, ging Katharina in die Küche, um die Geschirrspülmaschine zu bedienen - Niklaus folgte ihr. Er fragte sie nach ihrer Ausbildung, wollte sich um deren Anerkennung in Deutschland kümmern. Die Zeit verrann wie im Fluge; schließlich waren sie die Letzten. Niklaus bot an, sie nach Hause zu fahren. Um 21 Uhr fuhren sie los, um Mitternacht kam sie zu Hause an.
Sie wohnte nicht weit vom Weihnachtsmarkt entfernt und Niklaus fragte, ob sie diesen bereits besucht habe. Sie antwortete, dass sie sich nicht traue, alleine dorthin zu gehen, weil die tollen Sachen sie so sehr faszinierten, dass sie befürchte, dem Kaufrausch zu erliegen und daher dem Weihnachtsmarkt lieber fern bliebe! Niklaus versprach, auf sie aufzupassen. Er nahm sie beim Arm; so konnten sie sich in der Menschenmenge nicht verlieren.
Es war so schön, mit einem Beschützer durch diese dunkle, kalte Jahreszeit zu gehen! Am besten wäre die Zeit selbst stehen geblieben... Aber nach einer Stunde waren sie am letzten Stand angelangt. Niklaus wollte sich noch nicht trennen und fragte Katharina, ob sie etwas trinken oder essen möge. Die frische Luft machte hungrig, aber so spät wollte Katharina nichts mehr essen, nur etwas trinken, vielleicht eine heiße Tasse Tee. Niklaus bot an, zu ihm zu gehen, denn er hatte eine beachtliche Tee-Kollektion. Er war in der DDR aufgewachsen und hatte noch als Schüler Russland bereist, wo er seine guten Sprachkenntnisse erworben hatte. Katharina nahm sein Angebot an. Zum ersten Mal seit fünf Monaten hatte sie endlich wieder einen angenehmen Kontakt zu einer männlichen Person mit viel Verständnis, die Wärme ausstrahlte und dieses gewisse Gefühl der Geborgenheit schenkte.
Die Wohnung war außerordentlich luxuriös eingerichtet. Sie hatte so etwas noch nicht gesehen: Das Wohnzimmer mit der integrierten Küche und einem Esszimmer sah außerirdisch elegant aus, die Farben und die Tapeten waren eine Interpretation von Gefühlen! Sie war begeistert, ihr imponierte alles: Sie hatten den selben Geschmack, diese klassische, elegante Einrichtung ergänzte ihn, dazu dieses kreative Gestalten von Gardinen, Bildern und Geschirr! Es war sehr extravagant und zugleich sehr gemütlich, mit viel Phantasie und Liebe zum Detail eingerichtet! Niklaus seinerseits bewunderte Katharinas ruhige Art, sich zu äußern - sie war so romantisch-altmodisch, und das sagte er ihr. Schüchtern wie sie war, wirkte sie nach dieser Bemerkung wie gelähmt. Niklaus bereute sie sogleich. Katharinas Offenheit und Ehrlichkeit hatten ihn so begeistert und beeindruckt, dass er sich zu ihr hatte hinreißen lassen. Ihm kam es vor, als kannte er sie schon viele Jahre. Um die Situation zu retten, kniete er vor ihr nieder und bat sie um Verzeihung. Sie nahm seine Entschuldigung an und reichte ihm die Hand. Er setzte sich neben sie, umarmte sie und fing an, sie zu küssen. Sie genoss seine Zärtlichkeit und schmiegte sich an ihn. Er fühlte ihren Körper, der sich an seinen presste, nahm ihren Duft wahr –wie ein Blumenwiese. Alles verzauberte ihn und er versuchte, den Knopf ihrer Bluse zu öffnen... Sie befreite sich von ihm, stand auf, knöpfte die Bluse zu und sagte: „Bitte, lass mir ein wenig Zeit! Wir kennen uns erst seit heute. Das geht alles zu schnell für mich! Du bist ein traumhafter Mann. Nach jemandem wie dir habe ich mich gesehnt. Aber ich brauche noch Zeit. Meine Wunden sind noch nicht verheilt! Bitte, hab Verständnis dafür und verzeihe mir diese Verlegenheit! Wenn du es ernst meinst, findest du mich!“ Und sie verließ eilig seine Wohnung…Niklaus war wie gelähmt und keines klaren Gedankens mehr fähig...
„Sie hat mir den Verstand geraubt! Wir brauchen beide Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten.“
Nach einer Woche war es soweit - Weihnachten, das Fest des Friedens und der Liebe, stand vor der Tür! Katharina hatte die ganze Zeit mit ihrem Verstand gekämpft. Diese moralischen Bedenken hatten sie ihre Ehe gekostet. Niklaus hatte sie bestimmt als naive und hysterische Frau abgestempelt!
Die ganze Woche über dachte sie nur an Niklaus und wünschte, dass er sie finde! Weihnachten kam die ganze Familie zusammen. Es kostete viel Zeit und Kraft, die Festtage zu organisieren: Katharina musste kochen und backen - was sie vom Grübeln abhielt. Als nach und nach alle mit ihren Familien kamen, war sie wie ins Herz getroffen - sie war ganz alleine...
Es war schon sieben Uhr, als es klingelte. Katarina ging zur Tür und dachte, es sei die Nachbarin, die immer unzufrieden war, wenn die ganze Familie beisammen saß. Sie lebte alleine und beschwerte sich stets über diese Zusammenkünfte - vielleicht aus Neid, oder weil dieses laute Beisammensein sie störte. Katarina atmete tief ein und öffnete die Tür, bereit für eine Erklärung, vielleicht eine Auseinandersetzung mit der Nachbarin. Aber sie war überrascht, denn vor ihr stand Niklaus mit einem Blumenstrauß und einer Flasche Sekt in der Hand und lächelte:
„Du bist das schwierigste Rätsel in meinem Leben. Die ganze Woche habe ich an dich gedacht und nach deiner Adresse gesucht - ohne Erfolg! Ich war nicht in der Stadt und bin erst heute Nachmittag zurückgekommen. Ich bin sogleich ins Heim gefahren, um sie herauszufinden. Es war nicht leicht, aber ich habe dich gefunden! Ich wollte dieses Weihnachtsfest mit dir verbringen, weil ich es ohne dich nicht mehr aushalte! Ich habe die ganze Zeit nur an dich gedacht und möchte dich fragen, was du für mich empfindest?“ Er schaute erwartungsvoll in Katharinas Augen, suchte in ihnen eine Antwort zu finden. Sie stand so leblos da, dass er ihr Schweigen als Absage respektierte. Er gab ihr den Blumenstrauß und die Flasche und wollte gehen. Dann fiel ihm Katharina in die Arme und sagte weinend:„ Ich habe die ganze Zeit auf deinen Anruf gewartet - ich mag dich auch!“
Umarmt und wortlos standendie beiden vor der Tür, bis die ganze Verwandtschaft sie umkreiste und sie beglückwünschte.Es war ein langer Weg zum Glück, aber es war Liebe auf den ersten Blick. Sie hatten sich zufällig getroffen, aber aus dem Funken der Begeisterung entflammte das Feuer der Liebe.
Sie sind nun seit fünf Jahren zusammen, haben zwei Kinder und sind immer noch so verliebt, wie am ersten Tag…Seitdem wird in ihrer Familie Weihnachten ganz besonders gefeiert, denn ohne dieses Fest der Liebe wären Katharina und Niklaus sich nie begegnet. Ihre Integration ist gelungen - beide Familien respektieren die kulturellen Unterschiede und bezeichnen sie sogar als Bereicherung!
Die Frau strahlte vor Glück und ich konnte sehen, dass dieses Märchen Wirklichkeit geworden war!
Ich möchte nur noch einen Satz anfügen: Vertrauen Sie Ihren Gefühlen, glauben Sie an Wunder- Sie werden dafür mit solchen Weihnachtsgeschenken belohnt!
Viel Glück für die zauberhafte, märchenhafte Weihnachtszeit! |
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